Hier geht es zum ersten Teil und zum dritten Teil der Geschichte
Unsere kleine Maus hatte inzwischen die Diagnose „Globale Entwicklungsverzögerung und Retardierung, außerdem Verdacht auf Autismus“. Der Verlust des Kindergartens schmerzte sie sichtlich, vor allem, weil sie erst kurz zuvor ihre erste Freundin gefunden hatte, ein Mädchen mit Trisomie 21.
Lippenlesen mit Maske?
Zu den Blutabnahmeterminen erschienen wir Eltern jetzt mit Maske. „Maske doof!“, mussten wir uns dann anhören, hatte unsere Tochter doch gelernt, sich die Lippenbewegungen von Erwachsenen anzusehen, um ungefähr zu verstehen, was ihr gesagt wurde. Dieses Hilfsmittel fiel auf einmal weg.
Einen EEG-Termin hatten wir 2020 lange aufgeschoben. Die Krankenhäuser sollte man ja möglichst meiden: Alle überlastet, strenge Regeln und keine Termine. Erst im November konnten wir so wieder vor Ort erscheinen. Unter strikten Auflagen.
Unsere Tochter ist ein Gewohnheitstier. Jeder Ablauf muss täglich gleich sein, sonst kommt sie durcheinander. Änderungen quittierte sie mit verstärktem „Stimming“, also Zwangshandlungen, mit denen sie nonverbal ihre Stimmung und Gefühle zum Ausdruck bringt. Vor der Medikation hatte sie sich auch regelmäßig ihre kleine Hand blutig gebissen, das war nun zurück. Ein Verband rund um die kleine Kinderhand war nicht die ideale, zu diesem Zeitpunkt aber die einzige Lösung.
Sie rief flehentlich nach Mama
Als der EEG-Termin kam, wollten wir wie üblich zu dritt – Mama, Papa, Tochter – in das Kinderkrankenhaus. „Zutritt nur für einen Elternteil“, sagte uns der breitschultrige Türsteher am Eingang. Schweren Herzens entschied sich meine Frau, draußen in Regen und Kälte zu warten. Traditionell war ich während der Messungen als „Geduldigerer“ derjenige gewesen, der unsere am ganzen Kopf verdrahteten Tochter die recht langweilige Zeit des Stillhaltens begleitet. Aber Mama war sonst immerhin bis zur Verkabelung geblieben, um unserer Maus Mut zuzusprechen.
Schon beim Gang in den Aufzug merkte meine Tochter, dass etwas nicht stimmt. „Wo denn, Mama, hin?“, fragte sie immer wieder. Meine Erklärungsversuche, dass wir es heute etwas anders machen würden und sie ihre Mama nach dem EEG wiedersehen würde, verstand die Kleine natürlich nicht.
Als wir schließlich im Untersuchungsraum waren und die Schwester die Elektroden anlegen wollte, hatte sich die ganze Angst ob der ungewohnten Situation in einen soliden Heul- und Schreikrampf entwickelt: Meine Tochter riss sich aus meinem Arm los und versteckte sich unter dem einzigen Tisch im Raum, die Stühle um sich wie einen Schutzschild gezogen, und rief flehentlich nach ihrer Mama.
Da dämmerte es auch der diensthabenden Schwester, dass wir so nicht weiterkommen. Sie rief im Foyer an, dass man ausnahmsweise zwei Elternteile hinein ließ. Aber das Kind war bereits in den Brunnen gefallen: Als meine Frau in der Tür erschien, warf sich unsere Tochter in ihre Arme, weinte bitterlichst und rief nur noch „Heim gehen!“. Also Abbruch.
Der Wartesaal als Sperrgebiet
Den nachfolgenden Termin im angeschlossenen SPZ wollten wir dennoch wahrnehmen, auch wenn wir keine EEG-Daten hatten. Wir schritten durch den kalten Novemberregen zu dem Nachbargebäude, ich das noch immer wimmernde Kind im Arm. Hinein durfte diesmal nur meine Frau, Tochter und Papa mussten bei der Anmeldung draußen bleiben. Sie schilderte der Sprechstunde den Fall und ob wir, obwohl jetzt eine Stunde zu früh, zumindest kurz mit unserem behandelnden Arzt sprechen könnten. Dieser war natürlich gerade noch mit anderen kleinen Patienten beschäftigt, aber in ein bis zwei Stunden hätte er sicher Zeit für uns.
Warten müssten wir aber bitte draußen im Regen, da aufgrund der Pandemie der kindgerecht eingerichtete Wartesaal Sperrzone sei. Aber bitte nicht zu weit entfernen, es könnte ja sein, dass wir früher drankämen, so genau wisse man das nie.
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Wir waren alle überrumpelt von der Situation und auch wenn wir nicht an C glaubten, viele von uns haben aus Angst wegen Strafen mit gemacht. Das kann man jetzt nicht mehr wieder gut machen und ändern, das einzig wichtige ist was wir daraus gelernt haben: machen wir beim nächsten mal mit? Ich nicht mehr, auch wenn mich das mein Leben kosten würde.
Diese Zeit war ein so schlimmes, schlimmes Verbrechen.
Was man insbesondere den Kindern angetan hat, es fehlen einem einfach die Worte.
Wenn man sich dann anschaut, wieviele es schon gar nicht mehr interessiert oder gar bis heute die Schädlichkeit des Ganzen einfach leugnen, ist man doch wirklich an der Kante des Verlusts jeder Hoffnung in die ach so lieben Mitmenschen.