Hier geht es zum  zweiten und zum dritten Teil der Geschichte


Marc, 40, Consultant

Die Corona-Pandemie hat viele Familien plötzlich und unerwartet getroffen. Über Jahre eingespielte Abläufe mussten auf einmal über den Haufen geworfen und neu geplant werden. Schulen, Kindergärten und Kitas wurden geschlossen, die Kinder mussten zu Hause lernen und versuchen, per Internet und mit oft unerfahrenen Lehrern den Stoff des Schuljahres in irgendeiner Art und Weise zu meistern. Besonders Eltern kleiner Kinder, jetzt ins Home-Office verbannt, erlebten auf einmal einen Alltag zwischen Team-Calls und Windelwechseln.

Zahlreiche Videos gingen um die Welt, in denen der Nachwuchs plötzlich die Videokonferenz gesprengt hat. Was auf den ersten Blick niedlich und süß wirkt, war für die meisten Eltern eine Belastungsprobe. Arbeit und Familie gleichzeitig unter einen Hut bringen – dafür war und ist unsere Leistungsgesellschaft nicht ausgelegt.

Im Stich gelassen

Familien, welche Kinder mit Behinderung haben, wurden davon doppelt getroffen. Integrative Stellen wurden aus Angst vor dem Virus geschlossen, Pflegehilfen durften nicht mehr unterstützend eingreifen und überwiegend brach auch der Support aus der eigenen Familie zusammen. Oma und Opa sind schließlich Angehörige der Risikogruppe. Als Betroffene können meine Frau und ich ein Lied davon singen: Unsere Tochter leidet unter einem seltenen Gendefekt, der so neu und unbekannt ist, dass er noch nicht einmal einen Namen hat.

Nur die Nummer des betroffenen Gens ist ein Anhaltspunkt, um sich mit den wenigen anderen Eltern online austauschen zu können. 2019 war für uns ein Ärzte-Marathon: Schon 2018 hatten wir bemerkt, dass mit unserem kleinen Schatz etwas nicht stimmt. Neben einer sich nicht entwickelnden Sprache hatte sie auch motorische Schwierigkeiten. Im Januar 2019 wurde sie drei Jahre alt und entwickelte mehr und mehr geistige Aussetzer. Zu Beginn fanden wir das sogar noch amüsant. Ich scherzte „Jetzt muss sie rebooten“, ein Satz, für den ich mich heute abgrundtief schäme.

Viele EEGs und Termine im Krankenhaus und Sozialpädiatrischen Zentrum, auch stationär, brachten dann die Gewissheit: Unsere Tochter litt an Absencen, einer idiopathischen generalisierten Art der Epilepsie. Im Gegensatz zur „normalen“ Epilepsie zappelt sie dabei nicht herum, sondern verliert kurzzeitig das Bewusstsein. Das Gehirn geht auf Standby, während die Blitze darin zucken. Das kann überall passieren: beim Spielen, Essen, Schaukeln. Oder auch beim Gehen, was bei unserer Tochter irgendwann zu einer Bekanntschaft mit dem Türstock führte.

Behandelt wurde mit einem Antiepileptikum, Valproat, auf das sie zum Glück sehr gut ansprach. Diese Behandlung hat natürlich auch Nebenwirkungen, sodass wir in regelmäßigen Abständen zur Blutabnahme und zu weiteren EEGs erscheinen mussten. Ein Pflegegrad 2 wurde festgestellt und wir bekamen einen Platz im integrativen Kindergarten um die Ecke. Dort entwickelte sich unsere Tochter, nicht zuletzt auch durch die Förderung, sehr gut. Bis Corona dem ein Ende setzte.

Notstand – für die Familie

Wir lebten in Bayern, als Markus Söder den Notstand erklärte und alles dicht machte. Alles dicht machen, das bedeutete Absperrband um die Spielplätze, zu Hause bleiben und das Ende der Betreuung im Kindergarten. Der Pflegegrad wurde zu diesem Zeitpunkt auf 3 angehoben und wir hatten schon seit einiger Zeit eine Putzfrau, die meiner Frau, welche von zu Hause ausarbeitete, einmal die Woche unter die Arme griff. Mit einer betreuenden Pflegekraft war nicht zu rechnen gewesen: in der für uns zuständigen Lebenshilfe gab es nur Betreuer mit einer Ausbildung für alte Leute. Der Versuch mit solch einer Hilfe endete im Chaos und mit vielen Tränchen auf den Wangen unserer Tochter.

Dank Corona fiel auch diese Hilfe nun weg. „Aufgrund der Corona-Pandemie können wir Ihnen leider keine Putzfrau mehr zur Verfügung stellen“, hieß es – zu unserem Schutz. Schließlich war unsere Tochter Risikogruppe. Eine Risikogruppe mit einem ungeheuerlichen Betreuungsbedarf. Das Ende vom Lied: Wir stellten unsere Putzkraft auf Minijobbasis selbst bei uns ein, damit zumindest das Haus regelmäßig sauber wurde.

Nervlich am Ende

Meine Frau zerriss sich indessen zwischen Kinderbetreuung, Windelwechseln und ihrem Home-Office Job. Bis es nicht mehr ging und sie ihrem Chef die Kündigung überreichte. Nervlich war sie zu diesem Zeitpunkt bereits völlig am Ende. Ich versuchte in meinem Job, so viel Zeit und Freiheiten zu ermöglichen, um auszuhelfen, aber am Ende war ich der Hauptverdiener und meine Vorgesetzten sagten mir irgendwann einmal durch die Blume, dass ich mich entscheiden muss, ob ich meinen Job so weiter gut machen kann oder ob meine Familie ein Hindernis ist. Und irgendwo musste das Geld ja herkommen …


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