Mathias, 52, Rechtsanwalt

Wir sind eine kunst- und kulturbegeisterte Familie. Meine Kinder singen im Chor, spielen Klavier und Kalimba, toben sich aus beim Fußball oder Cheerleading und treffen täglich ihre vielen Freunde. Als Rechtsanwalt bin ich gut ausgelastet und habe ein volles Tagespensum.
Die Jüngeren waren in der Grund- und in der Vorschule, meine große Tochter war gerade in der Oberstufe, als der erste Lockdown über uns hereinbrach. Sämtliche Freizeitaktivitäten standen plötzlich still, der Chor traf sich nicht mehr, Sport- und Musikunterricht fielen aus, alle Vereine blieben geschlossen. Ich versorgte ab sofort zu Hause alleine die Kinder, meine Frau, die damals gerade eine Teamleitung übernommen hatte, verließ morgens vor fünf Uhr das Haus und konnte erst nach Feierabend unterstützen.

Klavierlehrer, Fußballtrainer und Chorleiter

Ich stand um 6.00 Uhr auf, um schon möglichst viel vom Schreibtisch weg zu schaffen, aber die Zeit war knapp, denn die Kinder sollten auf so wenig wie möglich verzichten. Ich ersetzte den Klavierlehrer, was möglich war, da ich selbst ganz gut Klavier spiele, wir sangen regelmäßig und trainierten Fußball – nur beim Cheerleading, da konnte ich nicht helfen.
Wir haben gegen die Kontaktregeln verstoßen, damit unsere Kinder weiter ihre Freunde treffen konnten und wenigstens einen Teil ihres Soziallebens behielten. Dennoch waren die plötzlichen Entbehrungen und Umstellungen hart – für uns alle. Ich zerriss mich zwischen Telkos, Videokonferenzen – meinen eigenen und denen der Kinder – zwischen Schulaufgabenzetteln und Akten, zwischen Gerichtsfristen und Bewegungseinheiten für die Kleinen an der frischen Luft. Als ich dann endlich zum konzentrierten Arbeiten kam, dauerte es bis in die Nacht. Es ging mir nach einigen Monaten richtig schlecht, denn ich hielt der neuen Belastung kaum stand.

Lockdown und kein Ende

Nachvollziehbar war für mich noch, dass am Anfang der Pandemie die Politiker so rigoros reagierten, da sie ja vor einer völlig neuen Situation standen.
Doch anstatt die richtigen Schlüsse zu ziehen und künftig auf die Eigenverantwortung der Menschen zu setzen, blieben die Maßnahmen. Der „Lockdown-Light“ und der Herbstlockdown waren durch nichts mehr gerechtfertigt. Das Versprechen, dass mit der Verfügbarkeit eines Impfstoffs die Kontaktbeschränkungen aufgehoben würden, war vergessen und das war fatal. Meine Kinder waren
von Oktober bis Mai nicht in der Schule, auch im Wechselmodell nur 1-2 Stunden alle paar Tage oder ganz zu Hause, sobald es einen Corona-Fall in der Schule gab. Meine große Tochter, die inzwischen bei meiner ersten Frau lebte, sah ich immer seltener, es war ohnehin schon eine Distanz zwischen uns eingetreten und der Lockdown verschlimmerte diese noch – die Entfremdung war krass.

#allesdichtmachen – Künstler im Kreuzfeuer

Kunst und Kultur sind mir sehr wichtig, sie sind der soziale Kitt in der Gesellschaft, bringen die Menschen zusammen. Was wäre die Gesellschaft ohne Kultur und die Begegnungen, die daraus entstehen? Als den Künstlern von #allesdichtmachen nur Hass und Ablehnung entgegenschlug, weil sie die Entscheidungen der Regierung kritisierten, war ich entsetzt. Sie leugneten ja nicht die Existenz des Virus, noch nicht einmal die notwendige Vorsicht, sondern sagten ihre Meinung und machten auf ihre Not aufmerksam und darauf, wie arm eine Gesellschaft ohne Kultur aussieht. Als Reaktion darauf zu hören: „Die sollen nie mehr auftreten dürfen!“, war unerträglich. Und viele der Künstler knickten auf den Druck hin ein, entschuldigten sich öffentlich dafür, dass sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnahmen. Checks and Balances? Fehlanzeige!
Und wo war die Opposition, als Jens Spahn die Maßnahmen ungeprüft weiter aufrechterhielt? Statt zu widersprechen, forderte sie immer noch mehr Menschenrechtsverletzungen, während die Journalisten die Beschränkungen einhellig guthießen und gar nicht genug davon kriegen konnten. Es machte mich wütend, dass niemand kritisch hinterfragte, denn wir litten ja alle darunter. Die einzige Ausnahme war Boris Reitschuster, mit dem ich zwar politisch absolut nicht einer Meinung bin, aber was er sich alles anhören musste, nur weil er die Regierung kritisierte und damit fast als einziger die Aufgabe der Vierten Gewalt wahrnahm? Erschreckend.

Die Keimzelle der Gesellschaft

Meine Kinder haben die Zeit zum Glück gut überstanden, obwohl es damals schwer war. Wir wohnen fernab von Berlin im Grünen, um unser Haus liegt ein großer Garten und der Wald ist gleich nebenan. Das hat uns gerettet. Wie aber ging es den Familien im Plattenbau, die nicht so privilegiert sind? Die häusliche Gewalt hat dort zugenommen, das ist bekannt und die seelischen Erkrankungen der Kinder, so berichtete mir eine befreundete Kinderpsychologin, haben allgemein dramatisch zugenommen.
Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft, und sie wurde in den letzten Jahren empfindlich angegriffen. Ohne soziales Leben, Kunst, Kultur und offenen Diskurs zerfällt die Gemeinschaft. Das alles aufzuarbeiten, ist wichtig und wird noch lange Zeit dauern.