Silke, 44, Lehrerin

Es ist schlimm, wenn ein Angehöriger stirbt, immer. Noch schlimmer ist es aber, wenn Angehörige in Corona Zeiten sterben mussten. Und hier meine ich jetzt nicht den Verstorbenen selbst (das wäre nochmal ein ganz anderes Kapitel), sondern die Angehörigen.

Im Juni 2020 starb die Mutter einer Bekannten von mir, die ich während meines Studiums kennengelernt hatte. Wir haben nur noch sporadisch mal per WhatsApp Kontakt, etwa zum Geburtstag oder Weihnachten. Im Juni meldete sie sich, um mir vom Tod ihrer Mutter zu berichten und ich fragte mich beim Lesen der ersten Zeilen, wieso sie mir das überhaupt schreibt. Im nächsten Satz wurde es dann klar. Sie war auf der Suche nach jemandem, der den Trauer-Beerdigungsgottesdienst musikalisch begleiten kann.

Mein Gedanke war: „Das hat sie mich jetzt nicht gefragt, bitte nicht.“ Aber die Nachricht klang schon relativ verzweifelt. Also sagte ich zu, obwohl ich mich mit Beerdigungen sehr schwertue, da mein Vater starb, als ich noch ein Grundschulkind war. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das emotional schaffen sollte, nicht nur vor Ort zu sein, sondern auch noch zu singen.

Meine Bekannte schrieb, dass die Feier bei schönem Wetter draußen am offenen Grab stattfinden soll, ansonsten in der Kirche. So hoffte ich, dass das Wetter so mittelmäßig werden würde, dass ich wenigstens von der Empore singen und Gitarre spielen könnte. So kam es auch.

Singen verboten

Die Mutter meiner Bekannten hatte sich wohl im Ort verdient gemacht, trotzdem durften nur 20 Menschen kommen. Ich fragte meine Bekannte, ob ich Liedzettel machen solle, damit die „Zugelassenen“, wenn sie schon nicht singen durften, wenigstens die Texte mitverfolgen konnten. Meine Bekannte war sehr dankbar dafür, dies konnte man deutlich spüren.

Die Beerdigung war auch nicht unbedingt um die Ecke, aber ich spürte, dass ich das Richtige tue und hoffte, dass ich es irgendwie schaffen würde, der Feier eine gewisse Würde geben zu können und emotional gefasst zu bleiben. Diese Würde herzustellen, war nur bedingt möglich, wie ich feststellen musste. Ich reiste eine Stunde früher an, in der Hoffnung niemandem über den Weg zu laufen und habe auf der Empore dann die Lieder noch einmal durchgespielt. Diese habe ich dann ganz spontan für meine Bekannte auf meinem Handy aufgenommen, um sie ihr später zu schicken. Auch hier war eine sehr große Dankbarkeit zu spüren.

Mit Masken und Abstand

Nach und nach kamen die, die kommen durften – auf Deutsch: Die Kirche war nahezu leer. Ich bin mir nicht sicher, ob es zu dem Zeitpunkt schon eine Maskenpflicht gab, aber ich meine nahezu jeder trug sie und alle saßen mit Abstand in den Bänken. Nicht, dass der Anlass schon traurig genug gewesen wäre, aber für das Bild, was sich mir von oben bot, finde ich bis heute nicht die richtigen Worte. Ich gab mein Bestes, um den Abschied der Angehörigen von der Mutter, die auch Oma war und den Freunden gut zu begleiten, aber durch diese ganzen Regeln hatte es etwas – ich möchte mal sagen – Gespenstisches, auch wenn das sicher nicht der passende Ausdruck für solch einen Anlass ist.

Während des letzten Liedes wurde der Sarg aus der Kirche in Begleitung der Anwesenden zum Grab gebracht und ich dachte, je länger ich singe, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass alle schon am Grab stehen.

Würdevoller Abschied?

Als ich fertig war, stand ich auf, um zu gehen. Da stand unten in der Kirche noch eine ältere Dame, die tatsächlich so lange gewartet hat, bis auch der letzte Ton verhallt war und sagte: „Sie wissen gar nicht, was Sie heute für die verbliebene Tochter, die Enkel, die Verstorbene und für uns getan haben. Das war so wichtig. Ich kann Ihnen nur von Herzen danken.“

Ich setzte mich in mein Auto und musste weinen, nicht nur über den Tod der Mutter, sondern auch ob dem, was den Hinterbliebenen angetan wurde. Und während ich das schreibe, laufen mir schon wieder die Tränen.