Ute, 42, arbeitslos
Ich habe in der Zeit so vieles verloren. Die Mutter meines Mannes starb einsam an ihrer Krebserkrankung in einem Klinikum in Düsseldorf, in das wir nicht mehr hineingelassen wurden.
Eine Freundin von mir nahm sich das Leben. Am meisten aber schmerzt mich der Verlust meiner Freundin Irmgard. Sie lebte direkt in der Wohnung nebenan. Sie war schon sehr alt, aber völlig klar im Geist. Irmgard litt vor einigen Jahren an einer Krebserkrankung, bei der ihr der Magen und die Schilddrüse entfernt wurden. Und dafür war sie noch erstaunlich fit.
Ich hatte von Anfang an ein schlechtes Gefühl, als sie sich spritzen lassen wollte. Sie wusste auch, dass ich selbst die Impfung ablehnte, wir hatten kurz darüber gesprochen.
Plötzliche Herzrhythmusstörungen
Bereits nach der ersten Spritze im Frühjahr 2021 bekam sie auf einmal Probleme mit dem Herzen, die sie nie zuvor im Leben hatte: Herzrhythmusstörungen. Ich erinnere mich bis heute, wie ich sie besuchte und sie kopfschüttelnd auf den Tisch zeigte und sagte: “Gucke Dir mal an, was ich alles an Tabletten nehmen muss. Ich gehe kaputt.”
Die zweite Spritze richtete bei ihr keinen weiteren sichtbaren Schaden an. Am Abend vor der dritten Impfung saß ich bei ihr. Ich machte mir große Sorgen und sagte zu ihr: Ich habe kein gutes Gefühl dabei, Irm.” Ich hatte so recht. Sie landete direkt im Krankenhaus und als sie zurückkam, war sie voll pflegebedürftig. Das war im Dezember 2021. Ihr Sohn und ich pflegten sie in den letzten Wochen ihres Lebens. Sie war sehr kurzatmig und konnte nicht mehr laufen. Wenn ich sie nach dem Baden anzog, fiel sie einfach auf die Seite, weil das Anheben der Arme sie so sehr angestrengt hatte.
Ihre Worte trafen mich ins Herz
Es war so ein Elend, diese lustige, freche und gute Frau so hilflos, gedemütigt und ums Leben kämpfend sehen zu müssen. An einem der letzten Abende ihres Lebens, es war schon spät und ich hatte sie bereits ganz warm zugedeckt, bekam ich plötzlich Angst, zur Tür hinauszugehen. Ich hatte die schlimme Befürchtung, dass sie womöglich ganz alleine stirbt.
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, schlug sie noch einmal die Augen auf und sah mich ganz klar an. Ihre Worte trafen mich direkt ins Herz; sie wandte sich mir zu und sagte leise: “Du kannst ruhig nach Hause gehen, Mädchen. Ich bin morgen noch da.” Ich kann weder den Anblick noch ihre warmherzigen Worte vergessen. Mir kommen heute noch die Tränen, wenn ich daran zurückdenke. Sie fehlt mir so sehr und ich kann nicht vergessen, wie elendig sie verreckt ist. Sie starb schließlich Ende März 2022. Zwei Wochen später war ihre Beerdigung.
Jetzt hat der Vater meines Mannes Turbokrebs. Die Geschichte ist noch lange nicht vorbei …
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Liebe Supermaus, lieber Thomas, LieberHenrik,
euch allen einen lieben Dank von mir. Ich sehe regelmäßig nach ob es Kommentare auf meinen Artikel gibt, aber sehe es auch als Hybris an auf Dinge zu antworten, auf die ich keine Antwort habe. Oder mich wichtiger zu nehmen als euch und all die anderen, die gelitten haben, auf die eine oder andere Weise.
Mir fehlt Irmgard bis heute. Ihr Lachen liegt mir in den Ohren wie dem kleinen Prinzen die Sterne am Himmel.
Supermaus, Dir würde ich so genre sagen, daß – so lange Du nach Deinem Herzen handelst – es für Dich keine falschen Entscheidungen gibt. Mir fiel der eigentliche Abschied von Irmgard leichter als die Pflegezeit, weil ich wusste, daß alles für sie getan wurde, was man tun konnte. Erst danach, denn so lange man gebraucht wird hat man diese innere Energie, kam die Zeit der Verarbeitung und Trauer. Ehrlich gesagt, sie wird mir immer fehlen, aber ws an mir nagt ist das Unnrecht, was man ihr angetan hat. Das Misstrauen, die Desorientierung und die Trauer, das sind die Narben, die bleiben. So lange Du bei Deiner Freundin bleibst und aus dem Gefühl heraus entscheidest gehts Du immer den richtigen Weg. Und das ist okay.
Thomas möchte ich gerne sagen, daß es in meinem Leben schon viele Gespräche über den Tod gegeben hat und nicht wenige mir erzählt haben, daß sie gerne unsterblich wären. Und das wäre schrecklich, denn mit der Unsterblichkeit hätte nichts mehr einen Wert. Mir hat sich ein Zitat aus einem sehr schlechten Film eingeprägt: “Die Götter sind neidisch auf uns, weil wir aufhören können.” Ich habe es mal so erklärt, daß Unsterblichkeit bedeutet, daß jeder einzelen Mensch seinen Wert verliert. Er wird ersetzbar. Es gäbe keine Liebe für das Leben mehr, alle Menschen würden austauschbar, weil jeder auf alle Zeit verfügbar ist. Klappt es heute nicht, dann vielleicht im nächsten Jahrhundert, der Mensch ist ja nicht weg. Man verliert seine Ziele, denn es kann kein unendliches Lebensziel geben. Alle Bücher sind irgendwann gelesen und geschrieben, jede Note komponiert, alles wiederholt sich in einer ewigen Schlaufe, man kann im Lauf der Zeit alle Orte bereisen, es bleibt einfach nichts mehr, nur noch Sinnlosigkeit.
Dir, lieber Henrik, möchte ich zuerst danken. Ich habe als junge Frau ein halbes Jahr in der häuslichen Pflege gearbeitet. Es war eine ganz üble Zeit. Die Zustände, egal ob zeitlich, menschlich, hygienisch, es war schlimm. Was ich nicht verkraften konnte war das abfertigen der Menschen. Ich habe in der Zeit nicht mal gemerkt, wie ich durch Schichtarbeit und häufig sogar (illegalerweise) zwei aufeinander folgende Schichten meine Energie immer weiter runter ging. Man hat nur ein Ziel, und das ist die Möhre an der Leine, die bedeutet Menschen ein würdiges Leben zu geben. Mich hat die Zeit an einen psychischen Kollaps gebracht, es war nicht meine körperliche Leistung oder der Wille dazu, es waren die Umstände. Ich kann so gut nachvollziehen, daß es nicht um den verdammten Hungerlohn, den auch ich bekommen habe, geht. Es geht darum, daß man das Leid, was man jeden Tag für andere trägt – denn genau das ist es, was Pflege bedeutet – irgendwann nicht mehr verstauen kann. Es kriecht aus den dunklen Ecken hervor und verfolgt einen bis in den Schlaf. Und dieses Leid wird künstlich erzeugt. In dem verzweifelten Versuch den Menschen doch irgendwie zu helfen bringt man sich irgendwann selber um. Das ist das schlimme an Deinem Beruf. Ich verneige mich vor Dir, mit Ernst und in tiefer Demut. Denn Irmgard war meine Freundin. Das macht es auf der einen Seite schwerer, weil man den Menschen wirklich noch vor Verfall und Demenz kannte. In der Pflege kennt man ja meistens nur den Charakter, der zurück zum Ursprung geht, aber wie der Mensch vorher war, das weiß man nicht. Und es ist genau deshalb auch der Nachteil. Aber ich hatte die Zeit nur für Irmgard, und mit Hilfe ihres Sohnes war das kein Vergleich zu den Zeiten, in denen ich Nachts mit Glück fünf Stunden auf eine miefigen Pritsche in einem Treppenhaus verbracht habe und auf acht bis neun alte Damen aufgepasst habe. Und nachgedacht habe ich darüber keine Sekunde, denn sie brauchte die Hilfe. Die Verarbeitung kommt erst danach. Das weißt Du ja selber. Falls man es überhaupt je schaffen sollte.
Liebe Ute,
Zuerst möchte ich mein Tiefes Mitgefühl aussprechen und Mein Herzliches Beileid sagen, ich wünsche Dir viel Kraft. Alles das was ich gelesen habe bestürzt mich zu tief, ich selber Pfleger (bis April 2020) kann es Bestätigen, was Du nieder geschrieben hast.
Ja Deine Liebe Nachbarin Namens Irmgard die Du in Deinen Herzen geschlossen hast ist verstorben, genau so macht es mich sehr Traurig und ich stelle mir immer die Frage „Warum?“ Warum ist gerade der Mensch verstorben der noch vor Jahren ja noch vor Monaten und Wochen noch so Top fit war? bevor Deine liebe Nachbarin sich spritzen gelassen hat, es macht mich wirklich Traurig und so möchte ich Dir Trost spenden in den schweren Stunden.
Du hast sie gepflegt und bis ihr nicht von ihrer Seite gewichen und das zollt mir gegenüber Dir Respekt, Du hast es nicht einfach abgetan und Dir die Aufgabe genommen Deine Liebe Nachbarin zu Pflegen,sie zu helfen bei ihren Tag Täglichen Alltag bei ihr zu sein, Du hast nicht weg geschaut, Mein Respekt, denn es gibt nicht so viele Menschen die es machen würden. Ich bin selber Pfleger gewesen (wurde gekündigt weil ich es nicht mehr vertreten konnte mit meinen Gewissen und nicht das machte was man mir sagte) und deshalb kenne die ganzen schweren Aufgaben, wo man die ganze Kraft anwendet die Körperlich sowie Psychisch einen „Fertig“ macht und nebenbei möchte man alles Losbrüllen was einen im inneren Bewegt, es aber nicht geht, man könnte ja das Traurige sehen.
Ich wünsche Dir alles alles Gute liebe Ute, erhole Dich von den vielen Kraftaufwendigen Aufgaben die Du da geleistet hast. Als ehemaliger Pfleger sage ich Dir ganz Leise „Danke“
LG sagt Henrik
Liebe Ute,
deine Geschichte berührt mich gerade sehr tief und es ist so erschütternd zu lesen, in welcher Hilflosigkeit man stecken kann und dann noch soviel Leid sieht und letztlich doch hilflos/machtlos ist …
I. hat ihren Weg gewählt – ihren Weg – einen Weg, der durch Leid getragen ist … wer weiß schon, ob es so sein sollte oder nicht – auf jeden Fall sehr berührend, aufrüttelnd, es macht einen sprachlos und wütend zu gleich.
Liebe Ute, meine Hochachtung, dass du I. gepflegt hast und ihr beiseite gestanden hast – eine bessere Freundin konntest du nicht sein. Schön, dass es da draußen noch liebevolle Menschen gibt. Danke!
Schmerz und letztlich auch der Tod gehören zum Leben – dies ist kein Trost. Einzig das Loslassen und Gott überlassen kann uns wirklich helfen … Ich wünsche dir viel viel Kraft und alles Liebe.
Thomas G.
Habe auch so Angst um meine beste Freundin. Ich sage nichts um ihr keine Angst zu machen, aber sie hat auch bei der kleinsten Anstrengung, wenn man normales Gehen so nennen will, Herzrasen. Hatte damals sanft versucht sie dazu zu bewegen, daß sie sich nochmal überlegt ob sie sich spritzen läßt, aber sie hat sich so von den der Angst anstecken lassen, daß sie sich zweimal hat spritzen lassen. Und hat es dann doch bekommen, und mit richtig schwerem Verlauf. Wie gesagt im Nachinein rede ich nicht mit ihr darüber, ändert ja nichts wenn ich ihr noch Angst mache, ich glaube sie denkt selbst oft daran und hat mir mal von sich aus gesagt, daß sie die Spritze bereut. Wäre unerträglich für mich, sie “plötzlich und unerwartet” zu verlieren. Sie ist der beste Mensch den ich kenne.